Der Südburgerländer im Paillettenkleid
eit Jahrzehnten gilt er als einer der Top-Produzenten der Travestiebranche weit über Österreichs Grenzen hinaus. Wir sprachen mit Angelo Conti über Männer in Frauenkleidern und sein bewegtes Leben als Travestiekünstler.
Des is mei Bua!“
Mit diesem Satz sprang sein Vater im Wirtshaus auf, als er vor rund 30 Jahren in Güssing das Plakat einer neuen Travestie-Show sah. Heute spricht Angelo Conti stolz über den Moment, als er erfuhr, dass sein leiblicher Vater auch endlich das respektierte, was er sich aufgebaut hatte. Dabei war seine Kindheit alles andere als harmonisch. Die Mutter war aus Mogersdorf, sie erwartete ein uneheliches Kind von einem ortsbekannten Charmeur aus Güssing und musste aufgrund des gesellschaftlichen und innerfamiliären Drucks in die Schweiz auswandern. In Zürich brachte sie Angelo vor 61 Jahren zur Welt, nur um ihn kurz darauf an eine Pflegefamilie abzugeben. Zurück in Österreich wuchs Angelo in Krobotek (Bezirk Jennersdorf) auf, bevor er nach der ersten Klasse Volksschule nach Wien wechselte. Dort lebte er in einem Schülerinternat, zu seiner Mutter und seinem Stiefvater hatte er nur ein loses Verhältnis, sie lebten ebenfalls in Wien.
Gefühlschaos und Notsituation.
„Eines Tages – ich war ungefähr zwölf – kam die Erzieherin zu mir und sagte, ich solle in den Aufenthaltsraum gehen, dort warte jemand auf mich. Dort stand dann plötzlich ein Mann, der sagte, er sei Rudolf Trottmann aus Güssing, mein leiblicher Vater.“ Angelo Conti erinnert sich noch gut an diese Zeit, in der es ihm sehr schlecht ging. Zu seiner Pflegefamilie in Krobotek hatte er immer engen schriftlichen Kontakt. Seiner Pflegemutter berichtete er oft von seinem Gefühlschaos und wie schwer es war, als Kind die Situation zu deuten. „Jetzt, wo ich schon einige Jahre auf dem Buckel habe, sehe ich es gelassener. Meine Mutter war damals in einer finanziellen Notsituation und sah keinen anderen Ausweg, als mich wegzugeben. Sie hatte keine Ausbildung und mit meinem Stiefvater gab es auch viele Probleme.“
Der Beginn als Zwittergestalt.
Doch Angelo war ein Kämpfer. Er hatte das Gymnasium abgebrochen und eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann begonnen. Mit 18 zog er aus dem Internat aus und erarbeitete sich eine eigene Wohnung – nobel, im 1. Bezirk. „Aber dafür musste ich schwer schuften. Ich habe nachts in einer Bar gearbeitet, bin dort um vier Uhr früh raus und zu Mittag stand ich schon wieder in einem Modegeschäft in der Operngasse als Verkäufer. Aber ich hab damals in der Bar rund 1.000 Schilling pro Nacht verdient, das war sehr viel Geld.“ Weder seine Mutter noch seinen Stiefvater oder leiblichen Vater wollte und konnte er um eine Finanzspritze bitten. Ein Bekannter vermittelte ihm ein Casting zu einem Stück am Volkstheater, wo man „freche, junge Burschen“ gesucht hatte. So hangelte sich Conti von einer kleinen Rolle zur nächsten. In der Bar im 9. Bezirk, in der er Nachtschichten schob, verkehrten viele Leute aus dem Show-Business und so kam es, dass Angelo für eine Rolle als Conférencier angeheuert wurde. „Ich kannte das Stück nicht und hab gefragt, was denn der Conférencier so macht, und bekam zur Antwort, das ist so eine Art Zwittergestalt, ein geschminkter Mann, der die Leute unterhält.“ Das war sein Einstieg in die Welt der Travestie. „Ich konnte mir nie vorstellen, Pumps und Frauenkleider zu tragen. Ein Jahr lang habe ich nur den Conférencier gespielt, bis dann die Travestiekunst immer mehr aufkam. Irgendwann bin ich auf diesen Zug aufgesprungen.“ Aber er wollte die Travestie-Shows aus dem verpönten Eck befreien, in dem sie steckten. Sein Anspruch war: weg davon, dass Leute Travestie nur mit ordinären Sprüchen und Schenkelklopferwitzen in Verbindung bringen. Er gründete ein Unternehmen, kam durch Kontakte nach Paris und Las Vegas und schaute sich dort von den ganz Großen das Geschäft ab, formierte eine Gruppe Künstler und produzierte eigene Shows, in denen er auch selbst immer mitspielte. „Wir spielten in jedem Dorf in Österreich, das eine Halle besaß, und irgendwann auch auf jedem Zeltfest.“ Doch nicht nur in Österreich feierte der heute 61-Jährige viele Erfolge. Auch in Deutschland, Italien, der Schweiz und Holland.
Eine in die Goschn?
„Ich habe hoch gepokert, als ich jung war. Das spür ich jetzt körperlich schon. Ich produziere heute nicht mehr selber, sondern lasse mich engagieren und spiele nur noch Produktionen, die mir gefallen. Heute ist Travestie ja nicht mehr so etwas Besonderes wie damals noch. Drag-Queens gehören für viele Events ja schon fast zum guten Ton. Das war damals noch anders.“ Vor rund 30 Jahren, in der Blüte seiner Karriere, verdiente er pro Show rund 50.000 Schilling – das Business galt als schräg, manchmal auch abartig. Seine heutige Frau hat er ebenfalls auf einer Tour kennengelernt. Ironischerweise in Zürich, wo er geboren ist. Und als Mann in Frauenkleidern hatte er es nicht immer leicht. „Ich erinnere mich noch an ein Zeltfest im Waldviertel, wo eine Gruppe junger Männer uns blöd angemacht und abwertend als ‚Schwule‘ und so weiter beschimpft hat. Nach einer Weile habe ich all meinen Mut zusammengenommen und bin – in voller Montur als Mireille Mathieu – zu ihnen hin und hab gesagt: ‚Wenn euch irgendwas nicht passt, dann schleicht’s euch – oder wollt’s von ein paar Schwulen mal eine in die Goschn?‘ Dann bin ich einfach weitergestöckelt. Und siehe da, bei der nächsten Nummer hat der ganze Tisch brav geklatscht.“ Natürlich seien viele in der Branche homosexuell, da brauche man „nicht um den heißen Brei herumreden“, denn für einen heterosexuellen Mann sei es schwierig, in hohen Schuhen zu gehen und Frauenkleider zu tragen. „Auch für mich war es extrem schwer, das zu erlernen.“
Müde vom Kämpfen.
Trotzdem erinnert sich Angelo Conti gerne an diese Anfangszeit der Travestie in den 1980ern in Österreich zurück, bereut nichts und fühlt sich trotz seines Lebenswandels heute angekommen. Seit 30 Jahren führt er gemeinsam mit seiner Frau außerdem seine eigene Bar im 4. Bezirk in Wien. „Ich bin müde vom Kämpfen. Wenn ich mal mehr Zeit habe, möchte ich viel reisen, viel ins Theater gehen – mehr Zeit in meiner Wohnung auf der Insel Djerba verbringen.“ Seine Pflegemutter starb vor einigen Jahren, Conti blieb bis zum Schluss in engem Kontakt mit ihr. Im südburgenländischen Kalch lebt noch immer seine leibliche Mutter mit 86 Jahren, die er ab und zu besucht und wo er mittlerweile als Star gilt, denn auch in den ländlichsten Regionen im Südburgenland wurde die Travestie irgendwann als das angesehen, was sie ist: die schauspielerische Kunst der Verwandlung.
You might Also Like
Photoshooting
Man muss schon ins Fotostudio gehen damit man nicht alle Falten ganz genau sehen kann.
Mehr Lesen